Pass einer im KZ Majdanek ermordeten Jüdin

75 Jahre danach

(1) “Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?”

(2) “Die Schicksalsfrage der Menschenart scheint mir zu sein, ob und in welchem Maße es ihrer Kulturentwicklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden. In diesem Bezug verdient vielleicht gerade die gegenwärtige Zeit ein besonderes Interesse. Die Menschen haben es jetzt in der Beherrschung der Naturkette so weit gebracht, daß sie es mit deren Hilfe leicht haben, einander bis auf den letzten Mann auszurotten. Sie wissen das, daher ein gut Stück ihrer gegenwärtigen Unruhe, ihres Unglücks, ihrer Angststimmung. Und nun ist zu erwarten, daß die andere der beiden ,himmlischen Mächte’, der ewige Eros, eine Anstrengung machen wird, um sich im Kampf mit seinem ebenso unsterblichen Gegner zu behaupten.”

(3) “Jeder Mensch heute, ohne jede Ausnahme, fühlt sich zuwenig geliebt, weil jeder zuwenig lieben kann. Unfähigkeit zur Identifikation war fraglos die wichtigste psychologische Bedingung dafür, daß so etwas wie Auschwitz sich inmitten von einigermaßen gesitteten und harmlosen Menschen hat abspielen können. Was man so “Mitläufertum” nennt, war primär Geschäftsinteresse: daß man seinen eigenen Vorteil vor allem anderen wahrnimmt und, um nur ja nicht sich zu gefährden, sich nicht den Mund verbrennt. Das ist ein allgemeines Gesetz des Bestehenden. Das Schweigen unter dem Terror war nur dessen Konsequenz”

(4) “Es war einer der großen, mit dem Dogma nicht unmittelbar identischen Impulse des Christentums, die alles durchdringende Kälte zu tilgen. Aber dieser Versuch scheiterte; wohl darum, weil er nicht an die gesellschaftliche Ordnung rührte, welche die Kälte produziert und reproduziert. Wahrscheinlich ist jene Wärme unter den Menschen, nach der alle sich sehnen, außer in kurzen Perioden und ganz kleinen Gruppen, bis heute überhaupt noch nicht gewesen.”

(5) “Wenn rationale Aufklärung auch – wie die Psychologie genau weiß – nicht geradeswegs die unbewußten Mechanismen auflöst, so kräftigt sie wenigstens im Vorbewußtsein gewisse Gegeninstanzen und hilft ein Klima bereiten, das dem Äußersten ungünstig ist. Würde wirklich das gesamte kulturelle Bewußtsein durchdrungen von der Ahnung des pathogenen Charakters der Züge, die in Auschwitz zu dem Ihren kamen, so würden die Menschen jene Züge vielleicht besser kontrollieren.”

(6) “Das Klima – ich deutete darauf hin –, das am meisten solche Auferstehung fördert, ist der wiedererwachende Nationalismus. Er ist deshalb so böse, weil er im Zeitalter der internationalen Kommunikation und der übernationalen Blöcke an sich selbst gar nicht mehr so recht glauben kann und sich ins Maßlose übertreiben muß, um sich und anderen einzureden, er wäre noch substantiell. Aller politischer Unterricht endlich sollte zentriert sein darin, daß Auschwitz nicht sich wiederhole. Das wäre möglich nur, wenn zumal er ohne Angst, bei irgendwelchen Mächten anzustoßen, offen mit diesem Allerwichtigsten sich beschäftigt. Dazu müßte er über das gesellschaftliche Kräftespiel belehren, das hinter der Oberfläche der politischen Formen seinen Ort hat.”

(7) “Das Kind orientiert sich zunächst an den Normen seiner Umgebung, weil es Angst hat, bei Fehlverhalten die Zuneigung der Autoritäten zu verlieren. Daher auch sein schlechtes Gewissen, wenn es gegen die Norm verstößt. Zugleich ist das der Grund, weshalb manchmal eine Gruppe etwas Böses tut, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben – das geschieht immer dann, wenn dieses Verhalten von den Autoritäten toleriert bzw. gefördert wird und keine Strafe folgt.”

Alle Zitate von Siegmund Freud, (1, 2 und 7) Das Unbehagen in der Kultur und Theodor W. Adorno. Erziehung nach Auschwitz. (3 bis 6)

Aus datenschutzrechtlichen Gründen benötigt Vimeo Ihre Einwilligung um geladen zu werden. Mehr Informationen finden Sie unter Impressum / Datenschutz.
Akzeptieren

Im Betrag „Todesmühlen“ habe ich weitere Gedanken zum Thema aufgeschrieben, aund Anlass des Films „Todesmühlen“ von 1945.