Parallelen zwischen der US-Wahl vor 60 Jahren und heute.
Vor 60 Jahren, am 10. November 1960, wird John Fitzgerald Kennedy nach einer der spannendsten Wahlschlachten in der Geschichte der USA zum 35. US-Präsidenten gewählt. Der Wahlausgang war denkbar knapp. Die Niederlage des Vizepräsidenten Richard M. Nixon wird erst am Nachmittag des auf die Wahl folgenden Tages offiziell. Hängen die Drohungen von Donald Trump in diesen Tagen damit zusammen?
„So sicherte der Bürgermeister und demokratische Parteiboss von Chicago Richard J. Daley 1960 John F. Kennedys hauchdünnen Wahlsieg gegen Richard Nixon, indem er die Wahlergebnisse von Chicago so lange zurückhielt, bis die Resultate aus dem traditionell republikanischen ländlichen Illinois bekannt wurden. Wundersamerweise lieferte Daley dann gerade so viele Stimmen aus Chicago, wie nötig waren, um Kennedy die Mehrheit in Illinois und damit auch im Wahlmännerkollegium zu bescheren. Gerüchte über Wahlmanipulationen wurden durch den Umstand, dass der Bürgermeister von Chicago und seine Familie die ersten Gäste waren, die der neue Präsident zur Übernachtung ins Weiße Haus einlud, nicht eben zerstreut.“
(Quelle: Die Zeit, 48/2000)
„Alle Politik ist auch Theater, besonders in der Demokratie, in der es auf den Applaus des Publikums ankommt.“ (Berthold Kohler)
John F. Kennedy ist 43 Jahre alt und wird der jüngste Mann, der je in das US-Präsidentenamt gewählt wurde. Sein republikanischer Gegenkandidat Richard Nixon ist 47. Im Vergleich zur Präsidentenwahl 60 Jahre später sind die beiden Kontrahenten Kennedy und Nixon etwa 30 Jahre jünger als die Kandidaten von heute, Donald Trump und Joe Biden. Allein dies sagt viel über die veränderte Rolle der Altersgruppen in der US-Gesellschaft aus.
Hauchdünner Wahlausgang
Der Wochenschaubericht zeigt auch fundamentale Unterschiede im politischen Klima der Vereinigten Staaten. Der Wahlausgang 1960 war denkbar knapp. Kennedy siegt mit einem hauchdünnen Vorsprung von 49,7 % zu 49,6% der abgegebenen Stimmen. Das waren gerade einmal 197.000 Wähler Vorsprung. Das US-amerikanische Wahlmännersystem wirkt sich bei dieser Wahl zugunsten Kennedys aus. Die Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses braucht dementsprechend lang. Vorwürfe der Wahlmanipulation wurden laut. Dennoch gratuliert der Verlierer Nixon seinem Kontrahenten ohne Vorbehalt und nimmt das Wahlergebnis an. Doch in den Wochen nach der Wahl ändert sich dies. Zunächst: Die Parteien, ihre Kandidaten und Anhänger haben Ende der 50er Jahre offenbar noch ein enger beieinander liegendes Profil.
Nachspiel zur Wahl
Bereits 1960 ließen die Republikaner bis zum Zusammentritt des Wahlmännerkollegiums am 19. Dezember nichts unversucht, die Mehrheit Kennedys dort zu kippen. Man versuchte, das knappe Abstimmungsergebnis in Illinois zugunsten von Kennedy zu kippen.
„Bereits drei Tage nach der Wahl prellten republikanische Führer mit der Ankündigung vor, die Partei werde in den Staaten mit den schmalsten Kennedy-Mehrheiten Nachzählungen der Wahlzettel beantragen und außerdem zahlreiche Wahlschwindeleien untersuchen lassen. Frohlockte Republikaner Bill Rentschler: „Wenn man fair nachzählt, wird Nixon im Januar inauguriert werden.“ (Der Spiegel, 7.12. 1960)
Ausserdem wurden demokratische Wahlmänner aus den Südstaaten bearbeitet, die wegen der Bürgerrechtspolitik Kennedy gegenüber eher skeptisch eingestellt waren. Doch die Versuche misslangen. Was Trump heute an die Wand malt, ist also im Kern schon einmal da gewesen.
Die Anhänger der Kandidaten
Auch die Zusammensetzung der jubelnden Anhänger des jeweiligen Kandidaten in den Filmen ist interessant. Die weiße Bevölkerungsgruppe der USA dominiert die Szene bei Nixon, bei Kennedy sind in einer Szene Führungsfiguren der amerikanischen Schwarzen präsent. Politische Beobachter in Amerika vermuten, dass die Polarisierung der beiden amerikanischen Parteien mit der Wahl Kennedys und der Bürgerrechtsgesetzgebung in den 1960er Jahren begann. Diese Sicht unterschlägt allerdings, dass auch der republikanische Präsident Eisenhower bereits Bundestruppen in die Südstaaten schickte, um Proteste gegen den Civil Rights Act von 1957 zu unterdrücken. Vor 60 Jahren setzten sich Eisenhower, Nixon und die Republikaner stärker für die Ausweitung der Bürgerrechte der Schwarzen ein, als die Politiker der Demokraten aus den Südstaaten. Daher misslang am Ende der Versuch Nixons, demokratische Wahlmänner zu beeinflussen.
Die Familie als Marketing
Schließlich zeigen die Familienbilder der Kennedys einen weiteren Aspekt der politischen Mobilisierung. Das junge Ehepaar, die Schwangerschaft von Jacqueline, oder die Kinder werden als Sympathieträger eingesetzt, um das Konto des Kandidaten mit weicher Währung zu füllen. All dies galt als Beginn eines Wahlkampfes in der Ära des Fernsehens und der Wochenschauen, also der Massenmedien des Bewegtbilds. Vielleicht eine noch ziemlich beschauliche und berechenbare Ära, in der am Ende der politische Diskurs entscheidend blieb.
Polarisierung erst heute?
Heute haben wir offenbar eine neue Stufe der medialen Vermarktung erreicht. Da die Internetmedien von der Polarisierung leben, sind an die Stelle von politischer Fairness und respektvollem Umgang der Kandidaten eine bodenlose Schlammschacht getreten. Das heißt nicht, dass vor 60 Jahren nicht mit harten Bandagen und mit allen damals zur Verfügung stehenden medialen Tricks gearbeitet worden wäre. Nur in einem waren die miteinander ringenden Kandidaten sich einig: dem Respekt vor der Persönlichkeit des Gegners und die Sorge vor der Beschädigung der demokratischen Institutionen der Gesellschaft.
Auch dies stimmt allerdings nur halb. In den Südstaaten der USA und besonders in New Orleans tobte schon damals ein erbitterter Kampf um die Gleichstellung der Schwarzen, in dem der weiße Mob vor Mordtaten und Gewalt nicht zurückschreckte. Allerdings solidarisierte sich keiner der beiden Kandidaten mit dieser gewalttätigen weißen Minderheit – das hat sich heute dem Anschein nach geändert.
Wochenschaubericht vom Wahlausgang
Der Weg Kennedys zur Macht
Der Nominierungsparteitag der Demokraten wurde vom 11. bis 15. Juli 1960 in Los Angeles abgehalten. Das folgende Video zeigt die Show, die in vielem den heutigen Parteitagen der Demokraten oder Republikaner (vor Corona) ähnelt. Schärfster Konkurrent für Kennedy war Lyndon B. Johnson.
Die Nominierung von Kandidat Kennedy im Juli 1960
Die alten Wochenschauvideos zeigen nach meiner Meinung sehr deutlich, in welch desaströsem Spielfeld sich die Politik heute bewegt. Die Regeln einer freien, fairen und fruchtbaren Debatte unter demokratischen Bewerbern werden oft nicht mehr beachtet.
Die Filme sind auf der Webseite von Progress-Film zur Lizenzierung erhältlich.
Weitere Fotos aus den Filmen sind in der Historiathek für Abdrucke oder Internetnutzung bereit.
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